Als jemand der als Jugendliche seine schwerbehinderte Mutter gepflegt hat und der über Jahre Pflegeeinrichtungen geführt hat, kann ich nur sagen, wenn wir nicht endlich mit einer neuen Denkweise an die Pflegeproblematik herangehen, werden wir das sogenannte Pflegeproblem nicht lösen können.
Warum fliehen so viele einen Beruf, der doch für viele eine Berufung ist? Ist es so, wie viel behaupten, dass wir die Pflege zu einer Fließbandarbeit an der thermodynamischem Maschine Mensch gemacht haben? Der Mensch ist aber doch wohl mehr als eine thermodynamische Maschine und Pflege ist mehr als ein paar Handgriffe, um die sogenannte Maschine Mensch warm, satt und sauber zu halten.
Der Mensch und gerade der pflegebedürftige Mensch will eine Beziehung erleben und jemand, der ihm ein selbstbestimmtes Leben in Würde ermöglicht. Wenn es um Pflege geht, geht es auch immer um Beziehung. Pflege ist Beziehungsarbeit! Und die Fakten beweisen, dass das sogar effizient ist. Jetzt werden die Kostenrechner sagen, das kann nicht sein. Ja sicher kann es nicht sein. Mit der Denkweise, mit der man das Problem geschaffen hat, kann man es eben nicht lösen.
Gute Pflege versorgt den Menschen, damit er eben ein soziales, physisches und psychisches Wohlbefinden hat. Gesund ist, wer mit seiner Krankheit zu leben gelernt hat. Um das tun zu können, bedarf es der Kompetenz eine Krankheit richtig beurteilen zu können. Es bedarf der Kompetenz den Menschen zu aktivieren und ihm wieder ein Leben in seinem sozialen Umfeld zu ermöglichen.
Pflegen ist eben mehr als ein paar Handgriff, sondern es ist auch die Fähigkeit für den Menschen, das zu tun, was er oder sie jetzt braucht und man kann sich nicht vorstellen, wie effizient das ist. Die Überdokumentation und die ständigen Prozessdefinitionen, die ja aus der Industrie kommen, liefern einfach nicht die Lösung, auch wenn mir das meine Mangerkollegen nicht glauben wollen.
Jeder Mensch ist einzigartig und was er braucht, kann sich von Tag zu Tag sehr unterscheiden. Die Medizin hat das schon begriffen, denn da sprich man jetzt von der personalized medicine. Wann werden wir endlich begreifen, dass wir auch ein personalized nursing brauchen? Der Mensch ist eben keine Maschine, bei der man einmal im Monat die Wartungszeit bestimmen kann!
Österreich hat tolle Pflegekräfte und wir können ihnen vertrauen, dass sie das Richtige machen. Unsere Pflegekräfte müssen nicht von einem System entmündigt werden, das ihnen genau vorschreibt, wie viel Zeit sie für gewisse Handgriffe benötigen dürfen und das Pflege auf ein paar Handgriffe reduziert. Da ist ineffizient und geht an den Menschen vorbei.
Geben wir doch endlich der Pflege die Pflege zurück. Manager sind dafür da, die Pflege zu unterstützen, aber keinesfalls sie zu entmündigen.
Pflege ist ein wunderbarer Beruf und es ist völlig unverständlich, dass wir in Österreich bei so einem schönen Beruf einen Mangel an Kräften haben. Das sollte uns doch zu denken geben! Was läuft hier falsch? Wir brauchen eine neue Denkweise. Gebt der Pflege das Kommando. Und ihr werdet sehen, es ist effizienter, effektiver und menschlicher!
Nun werden viele sagen: Das kann nicht sein! Zeige uns die Fakten.
Die berühmte Havard Longevity Study, bei der man über 700 Männer über 75 Jahre beobachtet hat, hat gezeigt, dass der einzige Faktor, der ein langes Leben ermöglicht eine gute Beziehung ist. Loneliness kills (Einsamkeit tötet), sagen die Studienautoren. Was sind wir für eine Gesellschaft, dass wir die Menschen, die unser Land nach dem Krieg aufgebaut haben, sehr oft vereinsamen lassen? Es ist nicht verwunderlich, dass in England bereits ein Einsamkeitsministerium geschaffen wurde, um genau das zu verhindern. Es sind also die Fakten: eine gute Beziehung ist effektiv.
Vor 12 Jahren hat ein niederländischer Pfleger mit drei Kollegen gesagt, dass er bei dem industriellen Pflegesystem, das in den Niederlanden war und derzeit noch in Österreich ist, nicht mehr mit macht. Er gründete Buurtzorg, was auf Niederländisch Nachbarschaftspflege heißt. Buurtzorg hat nun 14.000 Mitarbeiter, hat die Kosten um 30% gesenkt und wurde bereits fünf Mal attraktivster Arbeitgeber in den Niederlanden. Gepflegte und Pflegende sind mit dem System einfach sehr zufrieden.
Es sind also die Fakten: eine gute Beziehung ist nicht nur nicht effektiv sondern auch sehr effizient.
Als ich das zum ersten Mal hörte, dachte ich mir: das ist doch alles zu schön, um wahr zu sein. Ich fuhr in die Niederlande und ich sah, dass es wahr ist. Viele aus Österreich fahren ebenfalls in die Niederlande, um sich Buurtzorg anzuschauen und sind sehr beeindruckt, doch sagen sie: bei uns geht das nicht! Wir, Österreicher, lieben es halt darüber nachzudenken, warum etwas nicht geht!
Es geht aber und wir sollten es zumindest probieren. Es ist nicht die Lösung für alles, aber es ist sicher EINE Lösung, die für viele Menschen sehr interessant sein wird.
De facto wird es in Wien im Haus der Barmherzigkeit im Behindertenbereich bereits gemacht. Ebenso wurde in Korneuburg das erste Pflegeteam gegründet, dass nach Buurtzorg arbeitet und der österreichische Partner von Buurtzorg ist.
Das Team hat eine gemeinnützige GmbH gegründet, die Cura communitas heißt. Diese GmbH kooperiert nicht nur mit Buurtzorg Niederlande, sondern auch mit dem Roten Kreuz und der Cura Domo, einem 24 Stunden Betreuer.
Das Team besteht derzeit, wie auch in den Niederlanden nur aus diplomierten Pflegerinnen und hat schon Patientinnen, die mit dem Ansatz überglücklich sind. Das Team hat auch kein Personalproblem! Wie in Niederlande hat es einfach mehr Bewerbungen als Patienten und muss Interessenten abweisen.
Ich verstehe, dass die bestehenden Anbieter einer neuen Idee sehr skeptisch gegenüberstehen, aber warum geben wir nicht einem Ansatz, der Gepflegte und Pflegende glücklich macht und effizienter ist eine Chance? Bis jetzt konnten niemand einen ernsthaften Grund nennen, warum es nicht gehen sollte. Was muss denn noch alles passieren, dass wir endlich auch einmal etwas Neues ausprobieren?
Die Lösung ist einfach: lasst die Pflege einfach wieder Pflege sein und hört mit eurer industriellen Denkweise auf! Es ist besser für alle Menschen und billiger! Es verlangt nur ein bisschen Mut.
Wir sind zuversichtlich, dass wir es selbst in Österreich einmal erleben werden!